Zurück ElWG in Begutachtung – wichtiger Meilenstein zur Weiterentwicklung des Elektrizitätssystems und zur Energiesystemwende

ElWG in Begutachtung – wichtiger Meilenstein zur Weiterentwicklung des Elektrizitätssystems und zur Energiesystemwende

Dr. Wolfgang Urbantschitsch, LL.M und Prof. DI Dr. Alfons Haber, MBA

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Nach der Begutachtung des Gesetzes, das vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) vorgelegt wurde, erachten wir seinen baldigen Beschluss und sein zeitnahes Inkrafttreten als unerlässlich und möchten hier exemplarisch auf wichtige Bausteine der Überarbeitung eingehen.

Das bisherige Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (ElWOG) 2010 wurde zur Umsetzung des dritten Binnenmarktpaktes erlassen, in dem die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Liberalisierung für den Energiebinnenmarkt neu geregelt wurden. Das ElWOG 2010 wurde insgesamt elf Mal novelliert, umfassend unter anderem im Zuge der Erlassung des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes-Pakets. Neue Herausforderungen und Ziele, insbesondere die Energiesystemwende, sowie neue europäische Rahmenbedingungen erfordern eine umfassende Neugestaltung des bestehenden rechtlichen Rahmenwerks. Auf Europäischer Ebene wurde dem mit dem Clean Energy Package bereits im Jahr 2019 Rechnung getragen. Wir unterstützen daher ausdrücklich die Intention des Gesetzgebers, ein neues Elektrizitätswirtschaftsgesetz zu gestalten und damit die Integration erneuerbarer Energien in das System, die Dekarbonisierung durch Elektrifizierung und Sektorenkopplung, das Voranschreiten der Digitalisierung, die Implementierung neuer Geschäftsmodelle, sowie die Partizipationsmöglichkeit für Verbraucher:innen zu gewährleisten. Als sehr wesentlich erachten wir auch eine effektive Marktüberwachung, die Stärkung des Schutzes der Konsument:innen, sowie eine leistbare und sichere Energieversorgung für den Wirtschaftsstandort.

Ein wesentlicher Baustein für die Erreichung dieser Ziele ist die Überarbeitung und Schärfung der verwendeten Begrifflichkeiten und Definitionen. Insbesondere für die Organisation der Marktteilnehmer ist eine exakte und strukturierte Definition aller Marktrollen nach ihren Tätigkeitsbereichen relevant, um Rechte und Pflichten zweifelsfrei zuordnen und die Beziehungen der Marktteilnehmer zueinander klar regeln zu können.

Parallel zur Begutachtung des ElWG-Pakets wurde eine Arbeitsgruppe zum Thema „Grundversorgung“ eingerichtet. Wir engagieren uns aktiv in dieser Arbeitsgruppe und setzen uns für eine Vereinheitlichung der Versorgungskonzepte ein, um vertragslose Zustände zu vermeiden. Kritisch gesehen werden §§ 33a und 33b des Begutachtungsentwurfs zur Zuweisung eines Lieferanten durch die Regulierungsbehörde. Diese Regelungen erzeugen einen hohen Verwaltungsaufwand und sind für den Vollzug ungeeignet. Stattdessen schlagen wir die Umsetzung einer einheitlichen „Basisversorgung“ und des Versorgers letzter Instanz vor, um vertragslose Zustände zu verhindern. Dabei wird ein Ausschreibungs- oder Konzessionsmodell vorgeschlagen, um die Grundversorgung oder „Versorgung in letzter Instanz“ sicherzustellen. Im Rahmen dieses Konzepts raten wir davon ab, in die Preisgestaltung einzugreifen. Die Unterstützung von schutzbedürftigen oder energiearmen Kund:innen soll nicht durch Eingriffe in die Preisgestaltung, sondern durch separate sozial- und armutspolitische Maßnahmen gewährleistet werden.

Im Rahmen der erwähnten Arbeitsgruppe nehmen wir auch aktiv am Diskurs zu Preisänderungen im laufenden Vertragsverhältnis teil. Angesichts der langjährigen Rechtsunsicherheit und höchstrichterlichen Entscheidungen betreffend die Zustimmungsfiktion bei Preisänderungen sowie das gesetzliche Preisänderungsrecht des § 80 Abs. 2a ElWOG 2010, stellt sich die Herausforderung, ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Lieferantensicherheit und Konsumentenschutz zu finden. Dabei schlagen wir vor, durch gesetzliche Vorgaben zum Procedere und zu Informationspflichten die Praxistauglichkeit im Massenkundengeschäft zu gewährleisten. Der Grundsatz der freien Preisbildung soll beibehalten, allerdings die Kommunikation zwischen Lieferanten und Kund:innen verbessert werden - insbesondere durch Digitalisierung und Vereinfachung von Produkten und Preismodellen.

Besonderes Augenmerk ist auch auf die Regelungen rund um den Netzanschluss zu legen. Wir befürworten die Anwendung des Konzepts der netzwirksamen Leistung bei der Beurteilung von Netzkapazitäten und die Einbindung flexibler Systeme. Der Ansatz zielt darauf ab, sowohl für Verteilernetzbetreiber als auch für Anlagenbetreiber vorteilhafte Lösungen zu forcieren und verfügbare Netzkapazitäten optimiert zu nutzen. Durch aktive Last-, Erzeugungs- und Speichermanagementsysteme können die vorhandenen Netzkapazitäten im Verteilermetz besser ausgeschöpft sowie Überlastungen von Leitungen und Transformatoren durch auftretende Leistungsspitzen vermieden werden.

Zur weiterhin verbesserten Nutzung der vorhandenen Netzinfrastruktur schlagen wir ein zweistufiges Modell zur Flexibilisierung vor, das es Netzbetreibern erlaubt, flexibel, für einen definierten Zeitraum und ohne Beschränkung im erforderlichen Ausmaß die netzwirksame Leistung vorzugeben. Diese Phase dient dazu, den erforderlichen Netzausbau für die angestrebte Einspeisung herzustellen, jedoch bereits einen Netzzugang im aktuell möglichen Umfang einzuräumen. Unabhängig von anfänglich und temporären Einschränkungsregelungen wäre für Photovoltaikanlagen eine generelle und unbefristete Möglichkeit zur Spitzenkappung zulässig, um die Netzkapazitäten effizient und gleichmäßig zu nutzen. Aufgrund des relativ seltenen Auftretens von optimalen Einstrahlungs- bzw. Windverhältnissen, resultiert Spitzenkappung in sehr moderaten Einbußen des jährlichen Energieertrags. Die Erhöhung der möglichen Netzanschlusskapazitäten wäre hingegen beträchtlich.

Weiters ist die im Entwurf vorgesehene geeignete Nutzung von hochaufgelösten Verbrauchs- und Einspeisedaten ein wesentlicher Eckpfeiler zur effizienten Erreichung der energiepolitischen Zielsetzungen bei Aufrechterhaltung des bestehenden Maßes an Versorgungssicherheit. Die vorgeschlagenen Bestimmungen schaffen zudem weitgehende Partizipationsmöglichkeiten für Endkund:innen, indem zeitnahe Abrechnungen auch als Grundlage für monatliche Rechnungen ermöglicht werden und transparente Informationen über Verbräuche gegeben werden können.

Eine zentrale Charakteristik des sich ändernden Energiesystems ist der Bedarf und die Bereitstellung von flexiblem Verhalten. Dem wird im ElWG in mehrfacher Hinsicht Rechnung getragen. Die Flexibilitätsplattform stellt ein zentrales Element dar, um verteilte flexible Ressourcen zur optimierten Systemführung für Netzbetreiber nutzbar zu machen. Die mögliche Nutzung von Flexibilitätsleistungen für Netzbetreiber sollte dabei sehr breit, auch im Sinne des „Value Stackings“ (der optimierten Nutzung von Angeboten anderer Märkte), sowie der Nutzung von Flexibilität aus der Gestaltung der Systemnutzungsentgelte (tarifliche Flexibilität) erfolgen. Die Koordination sowie das „Durchreichen“ von Potenzialen und Angeboten sollte zwischen und für Verteilernetz- und Übertragungsnetzbetreiber im Sinne einer effizienten Nutzung optimiert möglich sein. Die Bestimmungen sehen ebenso vor, dass Ausnahmen für die marktbasierte Beschaffung für Flexibilitätsleistungen erwirkt werden können. Diese Möglichkeit wird von uns unterstützt und ist insbesondere notwendig, bis ausreichend Liquidität auf einer Flexibilitätsplattform vorhanden ist.

Die Regelungen zur Erstellung von Verteilernetzentwicklungsplänen im ElWG werden von uns ausdrücklich unterstützt. Ziele und Inhalte von Netzentwicklungsplänen für Verteilernetze sind im Begutachtungsentwurf aus unserer Sicht ausreichend beschrieben bzw. durch die Energiebinnenmarkt-Richtline (EBM-RL) bereits präjudiziert. Unsere Möglichkeit, Vorgaben zu Inhalten zu machen, erlaubt es beispielsweise, unterschiedliche Vorlaufzeiten von Maßnahmen je Netzebene über die Granularität der bereitzustellenden Information zu berücksichtigen. Dies wurde von uns auch bereits in Form einer Veröffentlichung (Leitfaden für die Erstellung von Netzentwicklungsplänen für Verteilernetze)[1], die Grundlage für eine Verordnung sein könnte, dargelegt. Aus unserer Sicht ist ein Anzeigeverfahren für die Netzentwicklungspläne für Verteilernetze gegenüber einer Genehmigung klar zu bevorzugen.

Als wichtigen Beitrag zur besseren Beurteilbarkeit der Versorgungssicherheit ist die Bestimmung zur Durchführung einer Abschätzung der Angemessenheit der Ressourcen auf nationaler Ebene und damit die Möglichkeit, die Ergebnisse des European Ressource Adequacy Assessments besser einordnen und interpretieren zu können, zu sehen.

Schließlich bringt auch die Überarbeitung der REMIT-Verordnung im Rahmen des REMIT II Reformpakets neue Vorgaben und Herausforderungen für den Energiegroßhandelsmarkt mit sich.

Am 13.02.2024 fand unsere Fachveranstaltung „Das neue ElWG als Basis für das Gelingen der Energiesystemwende?“ statt. Die Präsentationsunterlagen und die Aufzeichnung finden Sie unter https://www.e-control.at/fachveranstaltung-elwg-2024