Rückblick Fachtagung „Energiegemeinschaften – wohin geht die Reise?“
Rückblick Fachtagung „Energiegemeinschaften – wohin geht die Reise?“
Am 14. September fand unsere Fachtagung „Energiegemeinschaften – wohin geht die Reise?“ mit 341 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Aufgrund der erneut angespannten Corona-Situation wurde die Fachtagung für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausschließlich online abgehalten, nur Journalisten waren vor Ort.
Wolfgang Urbantschitsch, E-Control, ließ die Fachtagung mit einer Erläuterung des österreichischen Strommarktmodells beginnen. Dieses hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt, die nachhaltige Produktion von Energie ist immer mehr in den Fokus gerückt und das "Clean Energy Package" der EU wird in nationales Recht umgesetzt. Für die E-Control stellt sich die Frage, was am regulativen Rahmen angepasst werden muss, damit die Zielsetzung, eine nachhaltige, effiziente, sichere und leistbare Energieversorgung zu fairen Wettbewerbsbedingungen, erreicht werden kann. Neue politische Vorgaben, neue gesetzlichen Grundlagen und volatile Marktgegebenheiten sind Herausforderungen, denen mit den lösungsorientierten Handlungsprinzipien des Regulators begegnet wird. Dazu gehören u.a. der Grundsatz der Gleichbehandlung, eine faire Allokation der Kosten, eine verursachergerechte Bepreisung, die Wahrung der Konsumentenrechte, ein wettbewerbliches Marktmodell und die Gewährleistung Versorgungssicherheit.
Wolfgang Urbantschitsch, E-Control
Benedikt Ennser, Bundesministerium für Klimaschutz, beschrieb Erneuerbare Energiegemeinschaften als eine Reaktion auf Entwicklungen in der Realität, für die es bisher keine rechtlichen Rahmenbedingungen gab und mit denen eine neue Marktrolle etabliert wird. Es soll von natürlichen Personen, lokalen Behörden und KMUs Erneuerbare Energie erzeugt, verbraucht, gespeichert und verkauft werden. Dabei steht nicht der finanzielle Gewinn, sondern die Gemeinnützigkeit im Vordergrund und es liegt immer der Fördergedanke dahinter. Mit den Bürgerenergiegemeinschaften soll eine Marktrolle geschaffen werden, die nicht nur lokal oder regional, sondern in ganz Österreich agieren kann. Teilnehmen daran können neben natürlichen Personen auch Gebietskörperschaften und Kleinunternehmen. Die Tätigkeiten der Bürgerenergiegemeinschaften reichen von der Erzeugung, Verteilung, Versorgung, dem Verbrauch, der Aggregierung und Energiespeicherung über Energieeffizienzdienstleistungen und Ladedienstleistungen bis zu anderen Energiedienstleistungen. Finanzielle Erleichterungen wird es hier nicht geben. Wichtig ist bei beiden Modellen u.a. der Informationsaustausch mit den Netzbetreibern. Das Ministerium hofft auf eine rege Beteiligung bei der Begutachtung des Erneuerbaren Ausbau Gesetzes.
Benedikt Ennser, Bundesministerium für Klimaschutz
Nicole Jandl, Energie AG Customer Services GmbH, berichtete über Erfahrungen mit dem Betrieb gemeinschaftlicher Erzeugungsanlagen iS. §16a ELWOG als Vorläufer der Energiegemeinschaften. Wegbereiter in ein digitales Geschäftsmodell und Grundpfeiler sind Smart Meter und digitale Plattformen. Diese gewährleisten den Datenaustausch zwischen den Betreibern der gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen und den Netzbetreibern. Im Gebiet der Netz OÖ gibt es 68 registrierte Betreiber mit 65 registrierten Zählpunkten gemeinschaftlicher Erzeugungsanlegen und 171 Zählpunkte teilnehmender Berechtigter (Stand Aug. 2020). Aufgrund der Erfahrungen mit dem Betrieb gemeinschaftlicher Erzeugungsanlagen zeigte Frau Jandl die Aufgaben der Netzbetreiber auf und leitete Vorschläge für Erneuerbare Energiegemeinschaften ab.
Nicole Jandl, Energie AG Customer Services GmbH
Thomas Nacht, 4wardenergy, berichtete von einem Projekt, bei dem zwei Varianten von Energiegemeinschaften verglichen wurden: eine reine Haushaltsenergiegemeinschaft mit 10 Haushalten mit unterschiedlicher Personenanzahl und eine mit fünf Haushalten und zwei größeren Verbrauchern, einer Schule und einem Seniorenheim. Dabei zeigt die wirtschaftliche Bewertung, dass sich bei der reinen Haushalts-Energiegemeinschaft die Haushalte nur bis zu 30 Euro im Jahr sparen. Bei der größeren Energiegemeinschaft verbrauchen die größeren Verbraucher so viel Energie, dass die Haushalte fast nichts bekommen, sie aber dennoch Kosten haben. Daher ist noch ein Finetuning nötig, das man über das Energieabrechnungsmodell, eine Gewinnbeteiligung oder eine Abgabe der größeren Verbraucher an die kleineren machen könnte.
Thomas Nacht, 4wardenergy
Das Thema von Klaus Kubeczko, AIT, waren Regulatory Sandboxes, also ein Experimentierraum, um neue regulatorische Lösungen auszuprobieren. Bisher gibt es weltweit 12 Länder, die Sandboxes-Programme haben, weitere Länder sind dabei, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Im Projekt F.R.E.SCH wurden die Einbindung neuer Akteursgruppen, die Gestaltung von Netzentgelten und technische Fragestellungen als Themen für Experimentierräume ausgewählt. Bei der Frage, ob Sandboxes Enabler für die Energiewirtschaft sind, zeigte Herr Kubeczko Vor- und Nachteile der Experimentierräume auf. Der Beschleunigung von Innovationsprozessen, dem Lernen der Akteure und einer Risikominimierung stehen eine verzögerte Umsetzung notwendiger Prozesse und das Risiko, dass die Lösungen sich als nicht brauchbar erweisen, gegenüber.
Klaus Kubeczko, AIT
Johannes Wahlmüller, Global 2000, erläuterte, dass wir in Österreich Maßnahmen zum Klimaschutz dringend brauchen und schätzte das Potential, dass die heimische Bevölkerung bei Erneuerbaren Energiegemeinschaften mitmacht, als sehr hoch ein. Um das Regierungsziel 100% Ökostrom bis 2030 schaffen zu können, muss die Erzeugung von Ökostrom ausgebaut und der Fokus verstärkt auf PV und Wind gelegt werden. Es stellt sich die Frage, welche Rolle Erneuerbare Energiegemeinschaften spielen können. Die Umsetzung in Österreich setzt voraus, dass die Bürgerenergieakteure als zentraler Teil der Energiewende gesehen werden, dass maßgeschneiderte Unterstützungsangebote, Förderungen und Beratungsangebote bereitgestellt werden, dass die Administration einfach sein muss und dass es ein Recht auf Energy Sharing geben muss. Erneuerbare Energiegemeinschaften sollten eine Mitmachbewegung werden, an der Menschen sich beteiligen wollen.
Moritz Roberts
Moritz Roberts, DENA
Moritz Roberts, DENA, berichtete über den Status quo bei Energiegemeinschaften in Deutschland. Dort gibt es 843 sogenannte Energiegenossenschaften mit 200.000 Mitgliedern, die einen Umsatz von 1 Mrd. Euro machen (2019). Diese bieten der breiten Masse der Bevölkerung die Möglichkeit, sich zu beteiligen. Die DENA hat die Energiegemeinschaften in 3 Stufen, abhängig vom Fortschritt ihrer Entwicklung eingeteilt: vom Aufbau erster Projekte über die Stufe, wo die Energiegemeinschaften schon ein Portfolio haben, erste Mitarbeiter einstellen, es bereits erste Kontakte zu kommunalen Akteuren gibt und schon Überschussstrom ins Netz eingespeist wird bis zur Stufe, wo diese Gemeinschaften schon mit Energieversorgern konkurrieren und Dienstleistungen angeboten werden. In Deutschland gibt es erst ein Projekt in Stufe 3, die Bürgerwerke. Herr Roberts zeigte Barrieren und Lösungen auf nationaler Ebene auf und gab, auf die verschiedenen Stufen der Entwicklung bezogene, Handlungsempfehlungen ab.
Moritz Roberts
Andreas Eigenbauer, E-Control, hob abschließend noch einmal hervor, dass sich in den letzten 20 Jahren die Regulierungsaufgaben massiv gewandelt haben und die Dekarbonisierung ein neues Aufgabengebiet für die Regulatoren darstellt. Er betonte, dass Bürgergemeinschaften keine Autarkiekonzepte sind und es sich immer um ein Wechselspiel handelt, welche Aufgaben der zentralen Versorgung, welche Aufgaben den unterschiedlichen Marktteilnehmern zukommen und welche Rolle Energiegemeinschaften im Gesamtsystem übernehmen können. Er wies auch darauf hin, dass der Anschluss großer Mengen Erneuerbarer Energie an das bestehende Netz eine Herausforderung darstellt. Es müssen Strukturen geschaffen werden, wo große Mengen Erneuerbarer Energie möglichst wenig ins Hochspannungsnetz hineinkommen und die damit verbundenen Folgekosten, die benötigt werden, um das zu bewältigen, klein bleiben.
Die Präsentationsunterlagen der Referenten und die Aufzeichnung der Veranstaltung finden sich hier.